12. Episode - Interview mit Matina von der Demenz Bibliothek Mildstedt

Shownotes

Rebecca: Hallo und herzlich Willkommen zu einer weiteren Folge von Hörbar – Selbsthilfe in Nordfriesland. Ich bin Rebecca, Mitarbeiterin der Selbsthilfe Kontaktstelle in Husum. Und heute habe ich Matina Schmidt zu Gast aus der Demenz Bibliothek in Mildstedt. Rebecca: Hallo Matina. Matina: Ja, hallo Rebecca. Rebecca: Seit wann gibt es die Demenz Bibliothek in Mildstedt? Matina: Die gibt es seit Juli 2019. Rebecca: Ok. Matina: Da ist es entstanden. Davor habe ich es zwei Monate lang aufgebaut. Rebecca: Für wen ist denn das Angebot? Matina: Das ist für Angehörige von Menschen mit Demenz, für Menschen mit beginnender Demenz und auch für jeden Interessierten. Also auch für Freunde, Nachbarn, Geschäftsleute. Also das Bestreben ist eigentlich, jeden über das Thema Demenz zu informieren. Auch Menschen mit beginnender Demenz Mut zu machen und sich damit auseinander zu setzen, wenn sie merken, sie werden vergesslich. Oder auch den Mut machen, sich eine Diagnose einzuholen. Da bestehen auch oft Ängste. Und wenn die Ängste zu groß sind und man das nicht möchte, ist es auch zu akzeptieren, weil, der Mensch muss ja damit leben. Und auf der anderen Seite, wenn ich weiß, es ist jetzt Demenz, dann kann ich mich auch anders vorbereiten und mich damit auseinandersetzen. Weil, das Akzeptieren von der Erkrankung löst nachher die weiteren Wege aus. Und, es kann auch mal keine Demenz sein, sondern was anderes, wo man noch was tun kann. Und die Chance wird dann auch oft vergeben. Also, deswegen versuche ich immer Mut zu machen, sich damit auseinander zu setzen und das ärztlich ganz abklären zu lassen. Rebecca: Was für Angebote gibt es? Matina: Also, wir haben einmal die Demenz Bibliothek, da haben wir ganz viele Fachbücher zu verschiedenen Bereichen. Weil, es kommt ja darauf an, die Krankheit zu verstehen, die Symptome der Demenz zu verstehen. Dann gibt es spezielle Möglichkeiten der Kommunikation, das nennt sich Validation, beziehungsweise ist es auch in der einfachen Kommunikation, dass man langsamer spricht, dass man weniger Worte spricht. Also, da gibt es ganz viele Tipps, wo es mir auch am Herzen liegt, den Angehörigen das nahe zu bringen, dass sie besser mit den Symptomen umgehen können. Und dann eben auch Beschäftigung, ein weites Feld, oder Biographiearbeit oder Erinnerungsarbeit. Also, es gibt ganz viele Schlüssel und Zugänge zu dieser Erkrankung. Rebecca: Was versteht man denn unter Biografiearbeit? Matina: Biografie ist quasi eine Erinnerungsarbeit. Also, man kann zum einen den Lebenslauf darstellen, was ist im Leben Positives, Beglückendes geschehen, wo waren auch Schicksalsschläge, das ist manchmal auch wichtig in der Demenzarbeit, das zu wissen. Auch kann man sich oft die Symptome oder das Verhalten des Demenzerkrankten besser zuordnen. Und wenn ich weiß auch, was er gerne gemacht hat, wo die Hobbies lagen oder ob es ein Haustier gab. Also, man kriegt einen ganz anderen Zugang und ein ganz anderes Verständnis für die Menschen mit Demenz. Und, die Menschen mit Demenz, das erste, was wegfällt oder beeinträchtigt ist, ist ja das Kurzzeitgedächtnis. Und das Langzeitgedächtnis, das funktioniert noch sehr lange. Rebecca: Ok. Matina: Und in dem Bereich kann ich dann eben auch besser in Beziehung treten, wenn ich da was weiß und was ansprechen kann und den Menschen mit Demenz auch besser abholen manchmal. Rebecca: Ok. Matina: Oder ihn an schöne Erlebnisse erinnern. Oder auch, wenn mal was Trauriges ist und ich weiß biografiemässig, was ist, und da fallen ein zwei Worte, habe ich ein bisschen mehr Sicherheit und kann gucken, in welchem Stadium er sich zurückerinnert, wo ist er gerade. Weil, die sind ja auch orientierungslos, die Menschen mit Demenz, und kommen auch von alleine nicht wieder ins Hier und Jetzt wieder. Rebecca: Ok. Matina: Und dann habe ich oft die Diskrepanz, ich bin im Hier und Jetzt und der Mensch mit Demenz ist zwanzig dreißig Jahre weiter zurück. Rebecca: Ok. Merken Betroffene selbst, dass sie Demenz haben? Matina: Zu Anfang merken sie es sehr wohl. Das ist auch die schwierigste Phase. Wenn ich merke so, ich vergesse was, ich kann mich nicht mehr orientieren. Da kommt auch ganz viel Scham. Auch kann ich nicht mehr mithalten in der Gesellschaft oder beim Sportverein. Oder Kartenspielen geht oft noch länger, weil das ja auch im Langzeitgedächtnis ist. Aber gerade so neue Sachen können dann nicht mehr so flüssig mitgemacht werden. Das muss man immer noch, zu Anfang kann das trainiert werden, aber je weiter das dann in der Demenz ist nachher, wird es auch langsamer, oder fällt das auch auseinander. Also wissen die nicht, wie es weitergeht. Rebecca: Und wie viele Menschen nutzen derzeit das Angebot? Matina: Derzeit ist es, ja, es könnte mehr werden.
Rebecca: Ok. Matina: Also, jetzt nach Corona merkt man das, war richtig so ein Einbruch und auch Angst. Und es fängt jetzt wieder ein Stück mehr an. Aber es könnte mehr werden. Und da ist auch immer so die Frage, Öffentlichkeitsarbeit, wie erreicht man wen, beziehungsweise auch dieser Mut, dann zu uns zu kommen. Das merken wir auch noch oft, dass da immer noch so eine Hemmschwelle ist. Rebecca: So eine leichte Diskrepanz, sich zu melden als Angehöriger. Matina: Ja.
Rebecca: Ok. Matina: Also es gibt auch manchmal Angehörige, die sagen, ich komme hierher zu Ihnen, ich mache das nicht im Wohnumfeld, ich will nicht, dass das irgendwo einer mitbekommt. Das habe ich auch. Wenn ich dann sage, da und da gibt es auch eine Beratungsstelle oder es gibt ja auch die Alzheimer Gesellschaft, und dann höre ich auch ab und zu doch, nee, ich fahre lieber ein paar Kilometer, ich möchte das nicht. Dann sage ich, dass ist doch eh vertraulich. Aber da merkt man schon, wie schambesetzt das ist. Rebecca: Ok. Also keine Angst haben. Gemeinsam ist man natürlich besser dran, auch solche Sachen zu bewältigen. Matina: Ja. Also, hinterher ist das auch oft, dass Menschen froh sind, dass sie dankbar sind, ich habe jetzt andere Ansätze, ich kann das jetzt besser verstehen und ich habe jetzt ein, zwei Sachen, da kann ich ansetzen, weil, alles auf einmal wäre viel zu viel. Und ich glaube, das ist auch in der Gesellschaft noch nicht so bekannt, welche Möglichkeiten es alles gibt, diese Erkrankung besser zu verstehen und mich einzufühlen und damit umzugehen. So wie ich das in der Erinnerungsarbeit erzählt hatte, wenn der Demenzerkrankte zwanzig, dreißig Jahre zurück ist, dann fühlt er sich natürlich noch jung und rüstig und will alles Mögliche machen, wenn die Demenz fortgeschritten ist. Und der Angehörige, der sieht dann eben eine ältere Person vor sich, nach dem Motto, das kannst du doch gar nicht mehr. Da ist schon die Fremdwahrnehmung und die Selbstwahrnehmung, das passt schon nicht mehr bei beiden zusammen. Rebecca: Ja. Matina: Und wenn ich das verstehe als Angehöriger, dann kann ich anders damit umgehen. Dann kann ich den Demenzerkrankten anders abholen. Rebecca: Ja, natürlich. Als Beispiel, muss ich mal sagen. Ich habe das auch mal miterlebt, dass ich, ja, jemand älteres vor mir hatte. Und ich wusste, dement. Und er kriegte auf einmal Angst und war im Krieg und musste auf jeden Fall Koffer packen. Und ich habe gemerkt, wie drei, vier Leute gesagt haben, och, beruhig dich mal, komm mal Kaffee trinken. Er war so im Film, wo ich sagte, nee, ich muss jetzt einmal intervenieren. Ich bin mitgelaufen, wo hast du denn gerade was. Ich habe quasi einen Koffer geholt. Komm wir packen das jetzt. Und dann irgendwann war auch wieder gut. Also, es ist wichtig, die Leute, egal, wo die Leute gerade sind, abholen. Matina: Ja, genau. Und dann kann man auch Vertrauen aufbauen. Dann fühlen die sich ja auch ernst genommen und haben auch Vertrauen. Und die spüren ja auch, die sind ja noch gut über die Gefühle zu erreichen, wenn die Demenz fortgeschritten ist. Und dann fühlen sie, dem Menschen kann ich vertrauen und dem nicht. Und wenn ich dann jemandem im Umfeld habe, der immer sagt, ne, das stimmt nicht oder wir haben jetzt keinen Krieg zum Beispiel. Wie soll ich denn dem Vertrauen, wenn ich innerlich in der Zeit bin, wo Krieg ist. Und dann steht mein Gegenüber da und sagt, ist nicht. Rebecca: Ja. Matina: Also, es war schon super, wie du das gemacht hast. Weil, dann fühlen die sich ernstgenommen und dann findet man auch irgendwo Wege durch irgendeine Ablenkung, durch irgendein anderes Thema dann wieder, man geht eben dann ein Stück spazieren. Der bietet an beim Packen, lass uns doch erstmal Milch trinken oder so. Aber dann fühlen die sich angenommen und ernstgenommen. Rebecca: Ja. Matina: Also, das braucht diese Wertschätzung und Einfühlungsvermögen und die gleiche Augenhöhe und nicht so, ich weiß, was jetzt los ist, ich weiß besser für dich Bescheid. Also, so lange wie es geht sollen die noch selbstbestimmt leben, außer natürlich da ist Fremdgefährdung. Das sind so die Sachen, die ich auch versuche, zu vermitteln. Selbstfürsorge kommt ja auch immer viel zu kurz. Rebecca: Was ist denn dein persönlicher Gewinn durch das Engagement in der Demenz Bibliothek? Matina: Also, ich bin froh und glücklich, wenn Menschen zu mir kommen, wenn die offen sind und sagen, was sie sich wünschen. Oder auch das Vertrauen, das sie mir teilweise entgegenbringen, dass sie offen von sich erzählen oder wie die häusliche Situation ist. Da freue ich mich wirklich über das offene Vertrauen, das bei vielen dann ist. Das entwickelt sich dann im Laufe des Gespräches. Und dann kann ich ja erst auch besser verstehen, wo das irgendwo hakt oder was alles Thema ist. Es bräuchte normalerweise mehrere Beratungen. Aber, ja, dieses Öffnen und zu sehen, wenn so ein Stückchen davon oder manchmal auch ganz viel davon verstanden wird. Und die Augen fangen dann an zu leuchten und ach ja. Oder auch, wenn ich sage, Sie dürfen auch Grenzen setzen. Wo ist Ihre Grenze. Sie müssen sich nicht auspowern. Und diese Bestätigung, sie dürfen auch mal nein sagen, das kennen auch einige nicht. Und Schuldgefühle haben ganz viele. Wenn wir dann sagen, warum müssen Sie sich da schuldig fühlen, muss das sein, sollen wir das mal klären. Das ist ganz oft, dass Menschen sich auch schuldig fühlen und dann richtig traurig sind und dann immer mehr machen und mehr machen und sich dann auch verhaspeln. Und sich für alles verantwortlich fühlen, wenn der Partner oder Elternteil nicht mehr können. Geschwister, Kinder dann sagen, nee, wir nehmen ihn nicht, ist uns zu viel. Und da fühlen sich auch viele allein gelassen. Dass diejenigen merken, ich bin nicht für alles verantwortlich. Aber es sind Sachen, es geht ja im Stress und Dauerstress und dann habe ich irgendwann nur diesen Tunnelblick auf die Demenz, auf die Erkrankung, und bin dann nur noch irgendwie am Funktionieren. Und da versuche ich die Menschen immer ein Stück weit drauf hinzuweisen, dass es auch noch mehr gibt und dass es auch schöne Momente in der Demenz gibt, dass man noch ganz viel Spaß mit dem Menschen haben kann, gerade, weil man sie gefühlsmäßig gut erreichen kann. Und dann empfehle ich auch oft, ambulante Pflegedienste in Anspruch zu nehmen oder Betreuungsdienste oder Kurzzeitpflege. Und dann liebe mal ein Buch, ein Lesebuch ist immer eine Frage, aber Bilderbücher oder auch Spiele. Sprichwort Spiele, also, wir haben Angebote. Lieber was unternehmen und Spaß haben und Pflege und so ein Stück weit abzugeben. Die Verantwortung auch. Das ich ein Stück Beziehung neu erleben kann. Und dann habe ich auch mehr glückliche Momente. Aber das ist eben eine Herausforderung, wenn man so in diesem Stress und Dauerstress ist und noch den Fokus auf diese Erkrankung hat, dann sieht man auch das Schöne nicht mehr. Es gibt viele, die nachher auch gute und schöne Erlebnisse hatten und auch miteinander wieder lachen können. Man muss auch mal miteinander weinen können, aber dann auch wieder lachen können. Und das kann ich, wenn ich mir auch ein Helfernetz aufbaue und Hilfe und Unterstützung annehme. Rebecca: Wo kriege ich denn nähere Infos zur Demenz Bibliothek?
Matina: Also, das ist bei uns in Mildstedt, im Schulweg 8, in der Alten Schule im Dörpshus. Und da bin ich jeden Dienstag von fünfzehn bis sechzehn Uhr dreißig und jeden ersten und dritten Donnerstag von sechzehn Uhr dreißig bis achtzehn Uhr. Und einmal im Monat, am letzten Dienstag des Monats haben wir ein Demenz Beratungs-Café. Da unterstützt mich die Ehrenamtliche Margot Hansen. Und da ist auch, im Prinzip zu allen Zeiten, ist jeder herzlich willkommen. Rebecca: Gut. Und ist kostenfrei und… Matina: Es ist kostenfrei, es ist vertraulich. Rebecca: Das ist klasse. Ja, vielen Dank für das nette Gespräch, Matina. Matina: Ja, ich sage auch vielen Dank, Rebecca. Danke, dass ich hier sein durfte. Rebecca: Gerne. Matina: Dass das Interesse so bestand. Danke.

Möchtest du weitere Informationen zum Thema Demenz? Dieses und weitere Informationen findest du auf unserer Homepage: www.kibis-nf.de. Kommst du aus einer anderen Region? Dann schau doch mal auf der schleswig-holsteinischen Homepage der Selbsthilfekontaktstellen vorbei: www.selbsthilfe-sh.info.

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